Rede Einweihung Gedenkstein Max Maddalena

Rede zur Einweihung des Gedenksteins für  Max Maddalena am 5.7.2009

Hildegard Bibby ©

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Am 3. Januar 1996 wurde in Deutschland der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ proklamiert. Er ist ein nationaler Gedenktag und wird seit 1996 am 27. Januar begangen. Am 27. Januar 1945 hatten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau befreit. Außerdem ist dieser Tag seit 2005 durch Resolution der Vereinten Nationen der internationale Holocaust-Gedenktag.

 

In seiner Proklamation sagte der damalige Bundespräsident Roman Herzog:

„Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“

 

Die Opfer des Nationalsozialismus sind klar definiert:

Es sind Juden, Christen, Sinti und Roma, Homosexuelle, Opfer der Militärgerichtsbarkeit und Opfer der Euthanasie. Es sind Behinderte, Kriegsgefangene, Deserteure, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, Künstler, Wissenschaftler, Journalisten. Und es sind die politisch Andersdenkenden, die Frauen und Männer des Widerstandes und alle anderen, die während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gequält und ermordet wurden.

 

Zunächst denken wir an die weit über fünf Millionen ermordeten jüdischen Männer, Frauen und Kinder und an die Überlebenden des Holocaust.

Dann fallen uns wohl die großen Namen des Widerstands ein:

die Geschwister Scholl, Dietrich Bonhoeffer oder Graf Stauffenberg, vielleicht auch ein weiterer Hitler-Attentäter: Georg Elser, der auf seiner Flucht in die Schweiz in Konstanz verhaftet wurde.

 

Damit sind wir hier, im Hegau und bei den Opfern des Nationalsozialismus in unserer unmittelbaren Umgebung. Ich möchte nur ein paar wenige Namen aus Singen nennen, die stellvertretend für alle anderen aus der Region stehen sollen:

 

Daniel Jacob Kahn – jüdisches Mitglied des Singener Gemeinderats und Parteisekretär der SPD

August Ruf –  katholischer Pfarrer

Therese Harlander – Fluchthelferin

Johann Winter und seine Familie –  Angehörige der Sinti

 

Und

Max Maddalena – Kommunist und Gewerkschafter aus Riedheim.

 

Lassen Sie mich Ihnen diesen Mann vorstellen, der eine steile politische Karriere machte, die ein tragisches Ende fand:

 

Max Maddalena wurde 1895 als Maximilian Osswald in Riedheim geboren. Er stammte aus einer einfachen kleinstbäuerlichen Familie. Der Vater, Enrico Maddalena, kam als Eisenbahnarbeiter aus Italien nach Deutschland. Die Mutter Katharina Osswald arbeitete als Dienstmädchen, Köchin und Tagelöhnerin. Die Eltern heirateten in Riedheim im April 1895 nach der Geburt des gemeinsamen Kindes. Mutter und Sohn bekamen die italienische Staatsbürgerschaft. Die junge Familie wohnte bei den Schwiegereltern im Riedheimer Unterdorf.

 

Max Maddalena verbrachte seine Kindheit und Jugend hauptsächlich in Riedheim und wurde von der Großmutter Monika Osswald betreut, da seine Mutter den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn bestreiten musste, der Vater hatte die Familie 1903 verlassen. In Riedheim besuchte er die Volksschule, die er mit 14 Jahren im Frühjahr 1909 abschloss. Anschließend begann er als Schlosser in den „Fitting-Werken“ zu arbeiten. Zunächst pendelte er noch zwischen Riedheim und Singen, mit Jahresbeginn 1913 zog er endgültig nach Singen. Bis 1914 war er bei Georg Fischer beschäftigt, nach 1918 in den Aluminiumwalzwerken als Metallarbeiter.

 

Maddalena wurde Ende August 1914 gemustert und meldete sich freiwillig zur Marine. Er konnte jedoch erst nachdem er die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt hatte, seinen Militärdienst antreten. Als Soldat wurde er mehrfach, vor allem durch einen Lungensteckschuss im Jahr 1917, schwer verwundet und mit dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse sowie der badischen Verdienstmedaille ausgezeichnet.

 

In Singen lernte er seine erste Frau Lina Happle kennen. Diese erste Ehe, der zwei Töchter und ein Sohn entstammten, wurde 1929 geschieden. Zwei Jahre später heiratete er Hilda Eble. Die beiden Töchter blieben bei seiner ersten Frau in Singen, sein Sohn und seine zweite Frau begleiteten ihn 1932 nach Moskau.

 

Seit er in der Singener Industrie als Schlosser arbeitete, war Max Maddalena gewerkschaftlich tätig. Mit 16 Jahren trat er als Lehrling dem Deutschen Metallarbeiterverband DMV bei und übernahm seine erste Gewerkschaftsfunktion. Im Jahr 1913 schloss er sich der Arbeiterjugendbewegung und der Sozialdemokratischen Partei an; 1918 wurde er Mitglied der USPD. Seit 1921 war er Mitglied der KPD, 1922-23 deren politischer Leiter des Unterbezirks Singen-Konstanz.

 

Maddalenas politisches Aufgabengebiet war die Gewerkschaftsbewegung. Er war Betriebsratsvorsitzender in den Aluminiumwalzwerken, wurde 1922 zum Bevollmächtigten der DMV-Ortsverwaltung für das Gebiet Singen- Konstanz gewählt und arbeitete als Streikführer in den Metallbetrieben der Region. Er trat als Redner bei Demonstrationen und Kundgebungen auf.

 

Ab 1925 lag Maddalenas Arbeitsschwerpunkt nicht mehr im Hegau, er war inzwischen hauptberuflicher Parteifunktionär mit straffem Terminkalender und kam nur noch selten heim. Die1.Mai-Kundgebung 1931 war vermutlich einer seiner letzten Auftritte in Singen.

 

Seine Tätigkeit als Geschäftsführer des Deutschen Metallarbeiter Verbandes übte er bis 1924 aus, danach war er politischer Sekretär der Bezirksleitung Württemberg der KPD in Stuttgart. Von Oktober 1925 bis November 1930 war er in der Bezirksleitung Wasserkante der KPD in Hamburg als Gewerkschaftssekretär tätig, danach arbeitete er in Berlin als Mitglied der Reichsleitung der Revolutionären Gewerkschaftsopposition RGO. 1932 berief ihn die Rote Gewerkschaftsinternationale RGI als Referent für die europäische Gewerkschaftsarbeit nach Moskau.

 

Max Maddalena war demokratisch gewählter Reichstagsabgeordneter der Weimarer Republik. Von Mai 1928 bis März 1933 gehörte er als Abgeordneter der KPD dem Reichstag an, er vertrat Wahlkreise in Schleswig-Holstein, Hamburg und Breslau. Bei der Reichstagswahl 1930 erhielt die KPD knapp 4,6 Millionen Stimmen, ihr Stimmenanteil in Berlin betrug 33%. 1932 zählte die kommunistische Reichstagsfraktion 89 Abgeordnete. Im Reichstag saß Maddalena neben bekannten Kommunisten wie Ernst Thälmann und Clara Zetkin.

 

Am 27. Februar 1933 brannte das Berliner Reichstagsgebäude. Der Brand beruhte auf Brandstiftung, beschuldigt für die Tat wurden die Kommunisten. Die tatsächlichen Umstände des Geschehens sind bis heute nicht vollständig geklärt. Noch in der Brandnacht wurde die kommunistische Presse verboten, die Parteibüros der KPD geschlossen und zahlreiche Parteifunktionäre in so genannte „Schutzhaft“ genommen. Allein in Berlin wurden 1500 Mitglieder der KPD verhaftet, darunter fast die gesamte Reichstagsfraktion. Die politische Arbeit der Parteimitglieder war nun illegal. Die politischen Folgen der so genannten „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar sind tatsächlich unbestritten, denn die Grundrechte der Weimarer Verfassung wurden nun praktisch außer Kraft gesetzt. Der Weg war frei für die legalisierte Verfolgung aller politischen Gegner der NSDAP.

 

Anfang Januar 1935 reiste Maddalena für die internationale Gewerkschaftsarbeit von Moskau nach Prag, dann in die Schweiz und nach Österreich. Nach Prag zurückgekehrt, war er zunächst wieder für die Roten Gewerkschaften tätig und erhielt Anfang März 1935 vom Politbüro der KPD den Auftrag, nach Deutschland zurückzukehren, um die neue (illegale) Landesleitung in Berlin zu bilden und fuhr zusammen mit den Genossen Rembte und Stamm am 11.März nach Berlin – es sollte ihre „Todesfahrt“ werden. Maddalena muss sich bewusst gewesen sein, dass er mit diesem Auftrag sein Leben riskierte. Die drei Männer wurden gemeinsam am 27. März 1935 in Berlin durch die Gestapo verhaftet, verraten von einem KPD-Mitglied, der als Spitzel für die Gestapo arbeitete.

 

Ihre Untersuchungshaft hatten die Gefangenen in Moabit abzusitzen, es folgten monatelange Verhöre und Folterungen. Trotz der europaweiten Solidaritätskundgebungen und trotz der Bemühungen einiger internationaler Anwälte wurde Max Maddalena mit Rudolf Stamm und Adolf Rembte 1936 vom nationalsozialistischen Volksgerichtshof in Berlin wegen „Vorbereitung zum Hochverrat unter erschwerenden Umständen“ zum Tode verurteilt, am 4. Juni 1937 nach dreitägiger Verhandlung jedoch zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe begnadigt – „zur dauernden Unschädlichmachung“, wie es im Urteil heißt. Dass Max Maddalena der Todesstrafe entgehen konnte, war auf sein großes internationales Ansehen zurückzuführen.

 

Vor seinem Prozess Anfang Mai 1937 schrieb er aus dem Gefängnis einen Brief nach Singen. Darin lesen wir:

„Ich werde (…) das Urteil als Mann ertragen in dem Bewusstsein, dass all mein Streben ja nur darauf gerichtet war, den schaffenden Menschen und vor allem der deutschen Arbeiterschaft zu helfen, ihre Lage zu verbessern. Dieses Bewusstsein – nicht aus Egoismus oder Ehrgeiz – fünfundzwanzig Jahre in der Arbeiterbewegung gestanden und mich eingesetzt zu haben für das Wohl des schaffenden Volkes, gibt mir die Kraft dazu.“

 

Seine Strafe hatte er in Brandenburg-Görden zu verbüßen, wo seit der Machtergreifung Hitlers die kommunistischen Funktionäre einsaßen. Der Alltag der Gefangenen war durch Hunger und harte Arbeit gekennzeichnet. Von den bis zu 3400 Häftlingen starben 652 durch Krankheit, darunter 437 an Tuberkulose. Max Maddalena war im Haus II, Station I in einer Einzelzelle, in einem so genannten Kammkasten von ein mal drei Metern, eingesperrt. Er wurde misshandelt und gefoltert und 1938 wegen angeblicher „Konspiration“ mit einem weiteren Gefangenen mit vier Wochen Strafverschärfung belegt, d.h.  die Männer wurden im so genannten „harten Lager“ in Kellerzellen in Ketten gelegt. Um 1940 war seine Gesundheit schon so angeschlagen, dass er von seinen Mitgefangenen fürsorglich betreut wurde, so gut es ging – eine ausreichende ärztliche Behandlung wurde versagt.

 

Kurz vor seinem Tode, im Oktober 1943, durfte seine Schwägerin aus Singen den Todkranken besuchen. Er wurde zwar noch ins Zuchthauskrankenhaus gebracht, doch wenige Tage später, am 22.Oktober 1943, starb Max Maddalena an den Folgen seiner schweren Verwundung aus dem ersten Weltkrieg und an einer Magenerkrankung bzw. Leberzirrhose nach insgesamt acht Jahren unmenschlicher Haft als ein Opfer der so genannten „schleichenden Hinrichtung“ der NS-Justiz. In den Reihen der Genossen, Mithäftlinge und politischen Freunde reagierte man mit großer Trauer auf seinen Tod.

 

Meine Damen und Herren,

Am 8. Mai 1950 wurde auf dem Singener Waldfriedhof ein Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus mit den Namen der damals Bekannten eingeweiht – Max Maddalena ist unter ihnen. Zur Erinnerung an die von den Nationalsozialisten ermordeten Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik errichtete die Bürgerinitiative „perspektive Berlin“ gegenüber dem Platz der Republik im Jahr 1992 ein Denkmal mit 96 Gedenktafeln. Eine Tafel trägt den Namen Max Maddalenas. Er erscheint außerdem in einer Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter 1933-1945.

 

In Singen gibt es mittlerweile wieder eine Max-Maddalena-Straße, nachdem die erste nach ihm benannte 1959 wieder umbenannt worden war. Während des kalten Krieges wollte man keine Straße nach einem Kommunisten – dem man außerdem gerne die Mitschuld an einem Mord gegeben hätte – benennen, auch wenn er ein Opfer des Nationalsozialismus war.

 

In Riedheim, in seinem Geburtsort, wird heute dieser Gedenkstein eingeweiht. Er erinnert an den Kommunisten und Gewerkschafter Max Maddalena, der aufgrund seiner politischen Überzeugung gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft antrat und für seine politische Überzeugung sein Leben ließ.

 

Lassen Sie mich zum Abschluss nochmals auf den anfangs genannten Gedenktag zurück kommen. In seiner Rede bei der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus zum 60. Jahrstag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz 2005 sagte der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse in Bezug auf die Auflistung bzw. Definition der Opfer:

 

„Die Reihenfolge dieser Aufzählung stellt keine Wertung dar. Jedes Opfer hat das gleiche Recht auf Anerkennung und Würdigung. Unser Gedenken gilt allen, die unermessliches Leid erlitten, denen die Würde genommen wurde, die ihr Leben verloren. Und es gilt allen, die, auch wenn sie die infernalische Todesmaschine überlebt haben, doch an ihr zerbrochen sind: an dem zugefügten Schmerz, an dem Verlust des Glaubens an die Menschlichkeit, an der Unbeschreiblichkeit dessen, was geschehen ist.“

 

Ich bin stolz darauf mit beigetragen haben zu dürfen, dass Max Maddalena mit diesem Gedenkstein seine Anerkennung und Würdigung erhält.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!